In meiner Tätigkeit als Psychotherapeutin begleite ich viele Familien, die im Ausland leben. Bezeichnend für diese Familien ist, dass sie alle zwei bis drei Jahre ihren Lebensmittelpunkt in ein anderes Land verlegen. Die Kinder solcher Familien sehen sich somit dem ständigen Wechsel von Sprache, Kultur, Klima, Normen und Werten ausgesetzt. Ein vielleicht eben erst lieb gewonnenes Lebensumfeld wird durch ein anderes ausgetauscht. In einer Metapher ausgedrückt: Sie stehen von einem Tisch auf und gehen an den nächsten – und als Ergebnis kommt es immer wieder vor, dass sie plötzlich „zwischen den Stühlen stehen“.
Und auch wenn Familien, die ins Ausland gehen, heute mehr in die Kultur des Gastlandes integriert sind als vielleicht vor 50 Jahren, gibt es immer noch wesentliche Merkmale, die diese Gruppe von Kindern gemeinsam hat.
Was sind THIRD CULTURE KIDS?
Was ist eine dritte Kultur?
Was zeichnet TCK aus, was beschäftigt sie?
Und: Wie kann psychotherapeutische Begleitung THIRD CULTURE KIDS unterstützen?
In diesem Blogeintrag möchte ich mit Ihnen gemeinsam diesen Fragen auf den Grund gehen und noch weitere Antworten liefern.
Was sind THIRD CULTURE KIDS?
Erste Beobachtungen lassen sich auf die 50er Jahre im 20. Jahrhundert zurückführen. Das Sozialwissenschaftler-Ehepaar Dr. Ruth Hill Useem und Dr. John Useem bemerkte, dass Menschen, die umziehen, um im Ausland zu arbeiten, die Erfahrung von gewissen Besonderheiten erleben – daraufhin folgte eine Begriffsabgrenzung:
ERSTKULTUR
Der Begriff der Erstkultur beschreibt die Kultur der Heimat, die erste Kultur der Eltern.
ZWEITKULTUR
Die Zweitkultur bezeichnet die Kultur, in welcher die Familie aktuell zu Gast ist und den Lebensmittelpunkt besitzt.
DRITTKULTUR
Das Ergebnis aus der Summe aus den Gemeinsamkeiten und den Überschneidungen der Erst- und der Zweitkultur plus der sich aus dem Aufeinanderprallen dieser Kulturen entwickelnde Horizont wird als Drittkultur benannt.
Kinder, die in dieser Zwischenkultur aufwachsen, werden nach dem Sozialwissenschaftler-Ehepaar also Drittkulturkinder oder THIRD CULTURE KIDS genannt.
In dem Buch “THIRD CULTURE KIDS – Aufwachsen in mehreren Kulturen” der Autoren Ruth Van Reken, David E. Pollock und Georg Pflüger werden Drittkulturkinder wie folgt definiert:
Ein TCK ist eine Person, die einen bedeutenden Teil ihrer Entwicklungsjahre außerhalb der Kultur ihrer Eltern verbracht hat. Ein TCK baut Beziehungen zu allen Kulturen auf, nimmt aber keine davon völlig für sich in Besitz. Zwar werden Elemente aus jeder Kultur in die Lebenserfahrung des TCKs eingegliedert, aber sein Zugehörigkeitsgefühl bezieht sich auf andere Menschen mit ähnlichem Hintergrund.
Heutzutage findet der Begriff der „dritten Kultur“ seine Definition in der Bezeichnung eines Lebensstils, welcher sich dadurch auszeichnet, den Anschluss zu einer anderen Kultur leichter zu finden und die Beziehung zu dieser schneller aufzubauen. THIRD CULTURE KIDS fungieren dabei als eine Art Brücke, die es den Eltern ermöglicht, in eine andere Kultur einzutauchen.
Woran erkenne ich ein THIRD CULTURE KID?
→ TCK wachsen in verschiedenen Kulturen über Landesgrenzen hinweg auf und pendeln zwischen Heimat- und Gastland hin und her
→ TCK sehen die Welt oft mit anderen Augen als gleichaltrige Kinder in ihrem Umfeld
→ Durch die stets hohe Mobilität ist man einem latenten Gefühl von ständigem Kommen und Gehen ausgesetzt
→ Ein weiteres Merkmal ist die äußere Andersartigkeit die einen wesentlichen Anteil der Identität von TCKs ausmacht
→ Die meisten TCK rechnen damit wieder in ihre Heimat zurückzukehren
→ THIRD CULTURE KIDS leben meist in einem von ihren Eltern generierten privilegierten Lebensumfeld
Was zeichnet ein THIRD CULTURE KID aus?
Die Kategorisierung als THIRD CULTURE KID kann nicht unter Angabe einer Zeitspanne erklärt werden, vielmehr begründet sich diese in folgender Beschreibung:
Ein TCK muss während der Entwicklung zwischen der Geburt und der Volljährigkeit kulturübergreifende Erfahrungen gemacht haben, die die Identität und die Beziehungen zu anderen Menschen und auch die Weltsicht des Kindes auf grundlegende Weise geprägt haben. Wie einschneidend diese Erfahrungen sind, hängt vor allem davon ab wie lange und in welcher Entwicklungsphase ein Kind im Ausland aufwächst. Durch das Kennenlernen und Leben verschiedener Kulturen kann sich nicht auf eine alleinstehende Kultur konzentriert werden, ständig schwebt das Gefühl umher überall und nirgends zugleich dazuzugehören.
Was ist das Besondere an THIRD CULTURE KIDS?
TCK kommen mit verschiedenen Kulturen über Landesgrenzen hinweg in Berührung. Sie eignen sich über die Jahre eine überdurchschnittlich ausgeprägte Kompetenz zur Adaption an. Diese Anpassungsfähigkeit ist grundsätzlich eine positive Eigenschaft. Meist handelt es sich um sehr feinfühlige Menschen, die über eine gute Beobachtungsgabe verfügen. Während der Zeit der Adoleszenz – der psychischen Reifeentwicklung – im Alter von ca. 13 bis 18 Jahren kann diese Sensibilität zur Adaption auch für Krisenanfälligkeit in schwierigen Zeiten sorgen. Während der Adoleszenz erfährt das Third Culture Kid den Prozess der Identitätsfindung. Die Abgrenzung zu Erwachsenen findet statt, es bilden sich eigene Meinungen, differenzierte Haltungen werden eingenommen, Kontrapositionen entstehen. Die Frage nach der eigenen Identität geht ihren Weg. Wenn nun in dieser sensiblen Phase psychische Krisen oder Symptome auftreten, kann eine psychotherapeutische Begleitung helfen.
Erfahrungen aus meinen Beratungsgesprächen
In meiner Arbeit als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin begleite ich Familien mit Drittkulturkindern. Meist wenden sich diese Familien an mich, ohne vorher den Begriff des THIRD CULTURE KIDS gekannt zu haben – die Ergebnisse unserer Gespräche sind eindeutig: Durch das Aufzeigen aller Rahmenbedingungen im Lebensumfeld des Kindes entsteht bei den Eltern ganz plötzlich ein tiefgreifendes Gefühl von Verständnis; nach einer Annäherung auf Augenhöhe kann so wieder eine zusammenwachsende Beziehung erfolgen. Oft reift in diesen Gesprächen mit den Eltern die Erkenntnis selbst ein TCK gewesen zu sein, einige Persönlichkeitsmerkmale lassen sich nun plausibler erklären.
Jeder Mensch ist individuell, so auch THIRD CULTURE KIDS – und dennoch zeichnet sich bei meinen psychotherapeutischen Begleitungen immer wieder ab, dass sich junge Menschen, die als TCK aufwachsen, häufig dieselben Fragen stellen.
Mit diesen Fragen setzen sich die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die in psychische Krisen geraten sind, in einer fachlich fundierten psychotherapeutischen Begleitung näher auseinander. Darüber erhalten sie die Möglichkeit sich selbst besser kennen und einschätzen zu lernen. Sie erleben sich selbst als kompetent, entdecken Stärken und Schwächen und entwickeln eine innere psychische Struktur, die sie noch resilienter (widerstandsfähiger) für ihr weiteres Leben werden lässt.
Für Fragen oder auch für ein erstes unverbindliches Kennenlerngespräch, können Sie mich sehr gerne über mein Kontaktformular oder meine Emailadresse kontakt@selbsterforschung.com kontaktieren.