Mein Sohn ist fast sieben und konnte (noch) keine Schleife binden – bis heute. Wieso auch, er sah absolut keinen Sinn darin. Er kann doch barfuß laufen oder auf Socken; es gibt Sandalen mit Klettverschluss, Turnschuhe zum Reinschlüpfen, Flip-Flops und nette, hilfsbereite Menschen, die ihm die Schuhe binden können.
Nun hat mein Sohn seit einigen Monaten Fußball als seinen Sport entdeckt, bereits diverse Bälle und auch Turnschuhe durchgespielt und wünschte sich sehnlichst diese besonders besonderen Fußballschuhe mit Stollen drunter. Nach einigem Hin und Her, Gesprächen mit Argumenten, vielen Diskussionen mit Pro und Contra, kam es also heute endlich dazu, dass er sich seine Wunsch-Schuhe kaufen konnte.
Sehr stolz und zufrieden trug er sie nach Hause und wollte sofort gezeigt bekommen, wie man denn nun die Schleife bindet. Denn einen Fußballer, der sich auf dem Spielfeld seine Schuhe nicht selbst binden kann, konnte er sich nicht vorstellen. Gesagt, getan und geübt bis es klappte. Nun ist mein Sohn sonst kein Freund des Übens und wenn etwas nicht sofort gelingt, fehlt meist die Ausdauer, um weiter zu machen. Aber heute überwand er die kurzen Frustrationen, probierte weiter, in welcher Weise und Richtung die Schleife sich am leichtesten binden ließe und schaffte es in kürzester Zeit.
Am Ende sogar mit Doppelknoten!
Ich konnte dabei zusehen, wie er über sich hinauswuchs.
Zudem scheinen diese neue Schuhe noch weitere Superkräfte in ihm zu entfalten, denn er berichtete mir stolz, dass er heute vier Dinge gelernt habe: Schleife binden, auf das Dach des Klettergerüstes steigen, an den Turn-Ringen eine ganze Rolle und er habe noch schneller rennen gelernt – das alles mit diesen besonderen Fußballschuhen.
Ist das nicht wunderbar!?
Was ein Tag!
Was eine Erfahrung und Erkenntnis!
Mir hat es mal wieder gezeigt, dass Kinder den richtigen Zeitpunkt, für das, was sie lernen müssen und wollen, selbst in sich tragen. Dass sie am besten wissen, wann sie sich das Wissen und Können aneignen sollten und wir als Eltern nur das Vertrauen aufbringen dürfen, dass es nach ihrem Tempo gelingen wird.
Nicht dass ich mir Sorgen gemacht hätte, ob er jemals seine Schuhe selbst wird binden können oder gar, dass ich ihn gedrängt hätte es zu lernen… aber ich weiß, dass es durchaus üblich ist, zu erwarten, dass Kinder in einem gewissen Alter, gewisse Tätigkeiten beherrschen sollten… sonst machen sich andere Sorgen, die Omas und Opas oder die Erzieherinnen, die Nachbarn oder die Lehrkräfte.
Nicht dass ich meine, wir sollten Kinder sich selbst überlassen und nicht achtsam sein. Aber wenn ein Kind keine Anzeichen von feinmotorischen Schwächen zeigt und auch recht klar kommunizieren kann, dass es keinen Sinn darin sieht, die Schleife binden zu lernen, dann ist es gut, dass wir als Eltern loslassen von eigenen Vorstellungen und gesellschaftlichen Erwartungen. Denn unser Vertrauen in unsere Kinder stärkt sie am allermeisten: Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten entwickeln Kinder vor allem dann, wenn wir ihnen diesen VertrauensVORSCHUSS schenken.
Mein Sohn hat heute erfahren, dass er das, was er in einer konkreten Situation benötigt, innerhalb kürzester Zeit von anderen lernen oder sich selbst beibringen kann. Er hat ein wunderbares Selbstwirksamkeitserlebnis gehabt und konnte auf sich selbst stolz sein und es sogar mit anderen teilen, indem er darüber berichtete und sein neues Können mehrmals vorführte.
Nichts stärkt einen jungen Menschen mehr als zu spüren, wie sich das innere Potenzial nach Außen entfaltet. Wir Eltern dürfen dankbar begleiten und freudig zusehen, wie Entwicklung einfach geschieht, wenn wir Vertrauen haben.
Mich hat mein Sohn heute sehr überrascht und auch sehr stolz gemacht, denn damit hatte ich wahrlich nicht gerechnet – was ein angefüllter Tag!
In meiner Begleitung von Eltern ist genau das mein Herzenswunsch: Eltern darin zu bestärken, Vertrauen in ihre Kinder zu haben und zu behalten, sich an die Seite ihrer Kinder zu stellen – auch wenn das manches Mal in Schule und Gesellschaft nicht leicht ist.